Donnerstag, 24. Februar 2005
 
Wenn Engel auf Reise gehen scheint die Sonne
Das erklärt, warum man gestern keine Sonne gesehen hat, denn die einzigen die ungehindert reisen konnten waren wohl alles Andere als Engel.
Denn damit 'Schorsch Busch' ungehindert eine nachträgliche Kappensitzung im Mainzer Schloß abhalten konnte, wurde die Stadt samt aller umliegenden autobahnen gesperrt - und damit der gesamte Verkehr in Rhein/Main lahmgelegt.
Wer klug war blieb also daheim, fein bewacht von Polizeihundertschaften. Wer weniger klug war (c'est moi) begab sich raus in die Kälte um in der Gesellschaft von gleichgesinnten lustige Spruchbänder (ebenso bewacht von Hundertschaften) durch die Gegend zu tragen.
Gleichgesinnte zu finden die ebenso unklug sind war gar nicht mal so schwer. G. ist ein richtiger Veteran im Demogeschäft, S. dagegen genauso jungfräulich wie ich, dafür hat sie aber ein lustiges Spruchband organisiert, oder eher ein Karikaturband? Naja, ein Bild auf einem Band ohne Spruch aber lustig. Und sie brauchte Träger dafür - Das sagten G. und ich nicht nein.
Nach einem ausgiebigen Frühstück fuhren G. und ich also mit der Straßenbahn (hey, die war ja gar nicht lahmgelegt) gen Innenstadt. Die Bahn war sehr leer, niemand schien zum einkaufen zu fahren, niemand zur Arbeit. Vorm bahnhof sah es dann schon anders aus - hier sammelten sich bereits Demonstranten an, um dann die 200 Meter zum Stadthaus zu laufen, wo beireits eine laute Musik gespielt wurde. Da es noch eine Stunde bis zum Start war, kehrten wir erstmal zum Kaffeetrinken ein. Draußen wars zu kalt zum Rumstehen (was wir aber eh noch tun sollten). Im anschluß holten wir S. vor ihrer Haustür ab und schauten uns auf dem Weg zum Demobeginn noch die Absperrungen an. Überzeugt davon, eh nicht bis zum Schorsch durchkommen zu können stellten wir uns strategisch günstig (und viel zu weit weg von der Bühne um irgendein Wort zu verstehn - aber wir wollten ja auch mitlaufen und nicht zuhören) am hintersten Ende des Platzes auf. Um uns her verteilten Iranische Kommunisten, Nepalesen, aber auch ganz normale deutsche Sozialisten ihre Handzettel, wehten die roten Fahnen mit dem Konterfei von Marx, die Pace- Fahne und jede Menge selbstgesaltete Plakate und Bänder.
Leider waren heute wirklich keine Engel unterwegs, denn zu den leichten Minusgraden kam ein - für Mainzer Verhältnisse - recht lebhaftes Schneegestöber dazu. Okay, eigentlich wars harmlos aber da die Reden kein Ende nehmen wollten, und wir uns deswegen noch eine Stunde lang nicht vom Fleck rührten näherte sich unsere Körpertemperatur flott dem absoluten Nullpunkt an um dort zu verweilen.
Doch endlich konnte es losgehen, und G. und ich sahen auch zum ersten Mal, was wir eigentlich hochhalten durften - und ja, es ist sehr gelungen:

Ja doch, in Bewegung friert man weniger. Nachdem also das Laufen unser Blut etwas in Wallung gebracht hatte, ließ auch die Blaufärbung unserer Gesichter wieder nach. Insgesamt liefen wir 3/4. der Strecke mit, vorbei an Wohnhäusern aus denen die Bewohner Banner der Solidarität ausgehangen hatte, Bei einigen ging sogar richtig Party ab mit sozialistischen Kampfliedern von alten DDR- Vinyls (nehme ich von der Klangqualität her an), andere filmten nur was so alles vorbeigetragen wurde.
Irgendwann hielten wir die Kälte dann doch nicht mehr, und so kehrten wir, als der Zug grade beschloß, wieder eine Stehparty abzuhalten ins nächste Lokal ein um uns mit kolumbianischem Gold wieder aufzuwärmen. Es war mittlerweie auch gegen drei Uhr - und da drei eine so schön Zahl ist beschlossen wir einstimmig, daß drei Stunden Frieren auch genug ist. Etwas später gesellte sich dann auch A. dazu - und während sich G. und S. verabschiedeten weil sie gerne daheim nach dem Rechten schauen wollten gings dann doch nochmal raus in die Kälte - diesmal in Richtung Domplatz den die Bushes eben verlassen hatten. Doch viel näher als in Sichtweite des Zeltes, das als Sichtschutz gegen bitterböse Terroristen dienen durfte, kamen wir nicht heran - trotz Abwesenheit der hohen Herrschaften hielt die grüne Garde die No Go- Zone weiterhin aufrecht - So kamen wir den auch in den Genuß zuzuschauen wie eine Mutter mit Kind eskortiert über den Platz geleitet wurde - sie könnte ja ihren Nachwuchs nach dem mächtigsten Mann der Welt schmeißen.
Noch flott ein paar Fotos geschossen, viel zu sehen gabs eh nicht mehr und dann gings wieder ins Warme wo K. bereits wartete und wir den Abend mit ein paar Bierchen beschlossen.

Ein paar Bildchen setz ich gleich noch in die Comments.
 
Von: ericpp um 21:04hlivekommentieren

 
Wars das wert?
Zugegebenermaßen eine blöde Frage - aber ich stell sie trotzdem.
 
 
Die Demo?

Ja, ich fands witzig und wichtig.
Da ich an dem Tag sonst eh nicht viel machen konnte hab ich doch gerne von meinem Recht auf Meinungsäußerung Gebrauch gemacht - solange es noch möglich ist.

Allerdings find ichs höchst schade, daß den Protesten in den Medien so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Aber es waren ja nur ein paar tausend Leute unterwegs während die guten Politiker Warscheinlich wieder Millionen an Donners hin- und hergeschachert haben.
 
 
ok, leuchtet ein.
Und danke für die Bilder. In der Tagesschau kriegt man diese Perspektive ja nicht zu sehen.
 
 
Und selberhinfahren war auch nicht so einfach ;-)

Ich hab mich auchn Bißchen geärgert wiewenig die Rundfunkanstalten überhaupt berichtet haben. Hab heut morgen extra mal die Streams von ARD und ZDF durchgekuckt. Mehr als nen Zehn- Sekunden- Spot war die Stimme des Volkes leider nicht wert.

Da soll sich dann mal einer wundern wenn sich das gewöhnliche Wahlvieh von den feinen Herren abwendet.
 
 
Photo Time:

Absperrung an der Kaiserstraße - die hier gezeigte war übrigens noch harmlos.


Das größte Plakat gabs an einem Gewerkschaftshaus


Das grüne Etwas da ist ein Teil der Demo- Eskorte
Ich denke mal, die guten Herren waren dankbar, daß alles sehr friedlich ablief.


Links das war nicht ganz ernst gemein - ein Mainzer Insiderwitz - Rechts ein ebenfalls schönes Plakat von Schorsch Dabbelju Münchhausen und das im Hintergrund wehende kennen wir ja schon


Besatzergerechtigkeit


Auf der Ludwigstraße richtung Dom und Gutenbergmuseum, wo sich Laura B. zu der Zeit grade herumtrieb


Auf dem Marktplatz befinden sich mehr Polizisten als Zuschauer


Und auch das Rathaus hat geschlossen. Auf die drei Herren in grün scheine ich nicht sehr bedrohlich zu wirken, sie schenken mir erst gar keine Beachtung.


Einige Anwohner hielten sich dann doch nicht an das Bannerverbot. Neben einer Pace- Fahne (die sich leider verheddert hat) hat ein Bewohner seine Fenster mit einem Pro- Friedens- Spruch versehen - und das am Rande der No Go- Zone Allerdings bräuchte Mr. Presidänt sehr scharfe Augen um das lesen zu können